Bani“ ist der südindische Terminus für Tanztradition, im Besonderen für die Guru/Lehrer-Genealogie. Die Charakteristik der verschiedenen Banis sind die verschiedenen Stile in Tanz und Musik, die mit ihnen verbunden werden. Die Musik unterscheidet sich hauptsächlich in den tradierten Sollukattu-Phrasen.

Die prominentesten Bharata Natyam-Stile sind: Melathur, Vadavur und Pandanallur. Der Cheyyur-Bani ist weniger bekannt, besitzt aber einige mit dem Pandanallur-Stil übereinstimmende Charakteristiken.

Der Cheyyur Bharata Natyam-Stil geht auf Cheyyur Manikyam Pillai zurück. Dieser erlernte diese Kunstform von seinem Vater S. S. Sundareshan Pillai, der ein bekannter Tanzlehrer und Nattuvanar (Tanz-Gesangs-Begleiter) war. Sie kamen aus der Kleinstadt Cheyyur, etwa 100 Kilometer südlich von Madras (Chennai), und unterrichteten wohlbekannte Tänzerinnen der Region.

Cheyyur S. Manikyam übersiedelte nach Madras, wo er bis zu seinem Tod unterrichtete. Sein Hauptschüler war P. S. Ramaswamy, ein junger Brahmane aus der kleinen Ortschaft Pattakudi (Pathagudi).

Pathagudi Swaminathan Ramaswamy studierte in Pondicherry, dem heutigen Puducherry. Er begann sein Training in Gurukulavasa (Leben und Lernen im Hause des Guru/Lehrers) im Jahre 1945 unter Cheyyur S. Manikyam. Als ausserordentlich begabter Sänger begann er schon früh seinen Lehrer auf der Bühne zu begleiten. Nach dem Ableben seines Guru übernahm er den Unterricht seiner Schüler.

Da sich Cheyyur S. Manikyams Familie nicht weiter in diesem Feld betätigte, wurde der Cheyyur Bani von P. S. Ramaswamy als beruflicher Nachfolger weitergeführt. Er wurde schnell als Lehrer und Nattuvanar bekannt und begleitete viele der bekannten Tänzerinnen auf der Bühne. Er war seiner Tradition bis zu seinem Lebensende treu und unterrichtete, komponierte und choreographierte für eine bescheidenen Zahl ergebener Schüler und Schülerinnen.

Pathagudi S. Ramaswamy with Guru Cheyyur Manikyam Pillai
Pathagudi S.Ramaswamy with M.R.Ganeshan on mridangam, Venkataraman on violin in Madras, 1957

Smt. Vijaya Rao erlag dem Bann dieses bezaubernden und einzigartigen Tanzlehrers bereits im Alter von elf Jahren, als sie ihn durch ihren Schwager, Ishwar Maligi, der damals sein Schüler war, in Madras kennenlernte. Nach ihrem Deutsch-Studium in Dharwar, und ihrem Basis-Studium in Bharata Natyam, akzeptierte sie Pathagudi S. Ramaswamy als Privatschülerin, die sie als einzige Zeit seines Lebens war. Als Tanz-Lehrerin, -Komponistin, -Choreographin und als Nattuvanar führt Vijaya Rao die Tradition des Cheyyur Bani weiter. Nach ihr sind die Fackelträger dieses Bani Dr. Sharmila Rao und Rosmarie Weber.

Ellapa Pillai, der Doyen des Pandanallur Bharata Natyam während jener Zeit, war der Manasa-Guru (das künstlerische Vorbild) von Pathagudi S. Ramaswamy. Trotz der Ähnlichkeit dieser zwei Stile entwickelte P. S. Ramaswamy den Cheyyur-Stil zu einer eigenständigen, brillanten und ausdrucksstarken Tanzform, die sie ohne die Einflüsse des modernen Indien bis zum heutigen Tag geblieben ist.

Die Betonung in diesem Stil liegt auf den linearen geometrischen Formen (Yantara), die die Schrittkombinationen (Adavu- und Jati-Choreographien) beschreiben. Die Choreographien reflektieren den Energiefluss und die mathematische Genauigkeit, die ihnen eigen ist. Die Bewegungen sind direkt und impulsiv. Viele der Schrittkombinationen sind vor fast einem Jahrhundert entstanden und folgen heute noch genauso den rezitierten Sollukattu (Rhythmussilben) und Swaras (Sol-Fa-Silben).

Der mimische Ausdruck (Abhinaya) ist klar, folgt wortgenau der Bedeutung der Lyrik, ohne in Stilistik (Nattya-Dharmi) abzuschweifen oder in Mimik und Gestik (Loka-Dharmi) zu überzeichnen, so dass Gefühl und Bedeutung als Einheit vom Zuschauer wahrgenommen werden.

Die Doyen dieses Stils sind Meister in Sollukattu. Diese werden (Rap-ähnlich) vom Nattuvanar rezitiert in einer Artikulation, die mehr rhythmischer denn gesanglicher Art ist. Die Karnatische Begleit-Musik folgt dabei mehr dem Bharata Natyam, also dem Tanz, als dem üblichen Singstil einer klassischen Lied-Interpretation.